
Let’s Talk: D&O-Versicherungen
September 04, 2025
Von Christian Bonn
Underwriting Manager Financial Lines Germany, Austria & CSEE
Die Bedeutung der D&O-Versicherung (Directors-and-Officers-Versicherung) wächst in der deutschen Unternehmenslandschaft stetig. In Zeiten zunehmender Regulierung, verschärfter Haftungsnormen und einer wachsenden Klagebereitschaft stehen Manager und Organmitglieder stärker denn je im Fokus. Haftungsrisiken ergeben sich heute nicht mehr nur aus klassischen Pflichtverletzungen, sondern auch durch Themen wie DSGVO-Verstöße, fehlerhafte Nachhaltigkeitsberichte oder Managementfehler im Zusammenhang mit Cyberangriffen. Gerade in diesen Bereichen kommt es immer häufiger zu Schadenfällen, bei denen Führungskräfte persönlich in Anspruch genommen werden.
Das Let’s Talk Team von ¾ÅÉ«ÊÓÆµsprach mit Christian Bonn darüber, warum eine umfassende D&O-Absicherung heute unverzichtbar ist und worauf Unternehmen achten sollten. Er ist Underwriting Manager Financial Lines und verantwortlich für den weiteren Ausbau des Geschäfts in Deutschland, Österreich und CSEE.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Entwicklungen in der D&O-Versicherung in den letzten Jahren?
Ohne Zweifel ist hier eine deutliche Verschärfung der Haftungssituation für Organe zu nennen. Für diese Entwicklung sind viele unterschiedliche Faktoren verantwortlich. Umso bemerkenswerter ist es, dass die Prämien im D&O-Markt in den vergangenen zwei bis drei Jahren dennoch einen rückläufigen Trend zeigen.
Die D&O-Versicherung unterliegt – wie die gesamte Industrieversicherung – ausgeprägten Marktzyklen: Auf Zeiten mit steigenden Prämien, reduzierten Deckungssummen und gewissen Einschränkungen in den Bedingungswerken folgen regelmäßig Phasen sinkender Prämien und verbesserter Konditionen für Versicherungsnehmer. Diese Volatilität ist ein bekanntes Merkmal des Marktes und stellt insbesondere bei starken Ausschlägen eine erhebliche Herausforderung für alle Beteiligten dar. Während der letzten Marktverhärtung mussten zahlreiche Programme infolge verringerter Kapazitäten umstrukturiert oder der Versicherungsschutz aus Kostengründen eingeschränkt werden.
Auffällig ist aus meiner Sicht, dass die derzeitige Entwicklung der Prämien und Konditionen mit Blick auf die Risikolage und Schadenentwicklung nicht dem klassischen Zyklus entspricht. Dieses Auseinanderfallen von Risikoeinschätzung und Marktentwicklung zählt meines Erachtens aktuell zu den zentralen Herausforderungen im Bereich der D&O-Versicherung.
Welche Faktoren führen konkret zu der von Ihnen erwähnten Verschärfung der Haftungssituation?
Ein wesentlicher Treiber für die Verschärfung der Haftungssituation ist das zunehmend komplexe regulatorische Umfeld. Die überarbeitete EU-Richtlinie zur Netzwerk- und Informationssicherheit („NIS2“) ist ein aktuelles Beispiel hierfür. Sie hebt die Anforderungen an Unternehmen im Bereich Cyber- und IT-Sicherheit deutlich an und rückt dabei ausdrücklich die Verantwortung der Geschäftsleitung in den Fokus. Von Organen wird erwartet, dass sie sich aktiv mit Risikomanagement, Prävention sowie der Reaktion auf Sicherheitsvorfälle auseinandersetzen. Kommt es hier zu Versäumnissen, droht eine persönliche Haftung. Für die D&O-Versicherung bedeutet das: IT-Sicherheitsmängel sind nicht mehr nur ein technisches Problem, sondern potenzielle Haftungsfälle für das Management.
Darüber hinaus gewinnen Themen wie Compliance, Datenschutz und ESG (Environmental, Social, Governance) weiter an Bedeutung. Unternehmen sehen sich zunehmend mit verschärften gesetzlichen Vorgaben und einer wachsenden Bereitschaft von Behörden, Gerichten und auch der Öffentlichkeit konfrontiert, Verstöße konsequent zu verfolgen. Insbesondere im Zusammenhang mit „Greenwashing“ sind empfindliche Geldbußen und Reputationsschäden keine Seltenheit mehr.
Nicht zuletzt stellt auch die Unternehmensinsolvenz ein zentrales Haftungsrisiko für Organe dar. Gerade in solchen Situationen werden Führungskräfte häufig in Anspruch genommen. Die aktuelle Entwicklung am deutschen Insolvenzmarkt unterstreicht die Relevanz dieses Aspekts: 2024 ist die Zahl der Insolvenzen im Vergleich zum Vorjahr um rund 25 Prozent gestiegen, und auch für 2025 bleibt die Lage angespannt. All diese Faktoren führen dazu, dass das Haftungsumfeld für Organmitglieder deutlich anspruchsvoller und risikoreicher geworden ist.
Das Thema Geldbußen spielt im D&O-Markt eine konstant wichtige Rolle. Wie schätzen Sie die aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich ein?
Bezüglich der Deckung besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass Geldbußen selbst nicht unmittelbar durch eine D&O-Versicherung gedeckt werden können. Allerdings gilt der Regress einer Geldbuße – also die Rückforderung der gezahlten Geldbuße durch das Unternehmen vom verantwortlichen Organmitglied – als grundsätzlich versicherbar. Diese Praxis hat sich auch in den gängigen Bedingungswerken etabliert.
Spannend und juristisch umstritten ist jedoch die Frage, ob ein solcher Regress überhaupt zulässig ist. Hierzu gibt es überzeugende Argumente auf beiden Seiten. Entsprechend groß war die Aufmerksamkeit, als der Bundesgerichtshof (BGH) am 11. Februar über diese Frage im Zusammenhang mit Kartellbußen zu entscheiden hatte. Der BGH hat jedoch keine abschließende Entscheidung getroffen, sondern den Fall zur Klärung der Vereinbarkeit mit europäischem Recht an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) verwiesen. Aus dem Beschluss des BGH lässt sich allerdings ableiten, dass das Gericht selbst tendenziell zur Zulässigkeit des Regresses neigt. Wie der EuGH letztlich entscheiden wird, bleibt abzuwarten.
Bemerkenswert ist, dass eine Entscheidung in diesem Fall nicht nur für Kartellbußen, sondern potenziell auch für Bußgelder aus anderen Bereichen, etwa Datenschutz oder ESG, von Bedeutung sein könnte. Die möglichen finanziellen Auswirkungen sind erheblich, da sich die Bußgeldrahmen oft am Umsatz des gesamten Konzerns orientieren. Es bleibt zudem offen, ob sich der Gesetzgeber in Deutschland an internationalen Beispielen orientieren wird. In Österreich ist der Regress gesetzlich untersagt, und auch in Großbritannien gibt es entsprechende Rechtsprechung, wenngleich die gesetzlichen Rahmenbedingungen dort nicht vollständig vergleichbar sind.
Sollte der Regress letztlich als zulässig bewertet werden und sich in der Unternehmenspraxis durchsetzen, hätte dies erhebliche Auswirkungen auf die Schadenentwicklung im D&O-Bereich. Die Branche blickt daher mit großem Interesse auf die anstehenden Entscheidungen und möglichen gesetzgeberischen Initiativen.
Sie haben die Entwicklung der Schadensituation angesprochen. Welche Faktoren sind aus Ihrer Sicht derzeit die wichtigsten Treiber für Schäden im Bereich der D&O-Versicherung?
Die D&O-Versicherung ist ihrem Wesen nach eine Haftpflichtversicherung, sodass der Versicherer sowohl die Abwehr unberechtigter Ansprüche als auch die Freistellung im Falle einer berechtigten Inanspruchnahme übernimmt. D&O-Schadenfälle sind in der Regel sehr komplex, und die Haftungsfrage ist häufig nicht eindeutig zu klären. Dadurch entstehen nahezu immer erhebliche Rechtsanwaltskosten. Wir beobachten, dass diese Abwehrkosten kontinuierlich und deutlich steigen. Das liegt vor allem daran, dass die Abrechnung zunehmend nicht mehr nach den gesetzlichen Gebühren, sondern auf Basis von Stundenhonoraren erfolgt, die in den letzten Jahren spürbar angezogen haben. Es ist nachvollziehbar, dass auf das Organhaftungsrecht spezialisierte Anwälte höhere Sätze verlangen, allerdings sehen wir teilweise Stundensätze, die deutlich über dem Durchschnitt liegen.
Hohe Kosten entstehen dabei nicht nur in der zivilrechtlichen Abwehr, sondern auch bei der strafrechtlichen Verteidigung. Pflichtverletzungen von Organen haben häufig auch strafrechtliche Relevanz, weshalb moderne D&O-Bedingungen regelmäßig auch die Kosten der strafrechtlichen Verteidigung abdecken. Das eigentliche Problem sehe ich weniger in der Höhe der einzelnen Kostenpositionen, sondern vielmehr darin, dass alle diese Kosten die vereinbarte Deckungssumme reduzieren. Da sich alle versicherten Organe eines Konzerns die Deckungssumme teilen, besteht die Gefahr, dass für die eigentliche Freistellung am Ende nicht mehr ausreichend Kapazität verbleibt. Ein Blick auf die Berichterstattung rund um den Fall Wirecard zeigt eindrucksvoll, wie allein die Verteidigungskosten die gesamte Versicherungssumme aufzehren können.
Welche Empfehlungen würden Sie D&O-Kunden diesbezüglich geben?
Zunächst einmal lässt sich festhalten, dass die D&O-Versicherung ihrer Aufgabe in der Praxis sehr gut gerecht wird und für Organmitglieder angesichts der gewachsenen Risiken unverzichtbar ist. Auch die Schadenregulierung verläuft in der Praxis in aller Regel reibungslos. Aus meiner Sicht ist es ratsam, sofern es möglich und sinnvoll erscheint, frühzeitig auf eine interessengerechte Einigung – etwa in Form eines Vergleichs – hinzuarbeiten. Das trägt meist dazu bei, hohe Kosten zu vermeiden und damit die Deckungssumme zu schonen.
Darüber hinaus sollte die Gesellschaft als Versicherungsnehmerin stets das Interesse der Organe in den Mittelpunkt stellen. Mit Blick auf den Verbrauch der Deckungssumme empfiehlt es sich, ergänzend eine Strafrechtsschutz-Versicherung abzuschließen. So können insbesondere die Kosten der strafrechtlichen Verteidigung außerhalb der D&O-Deckung abgesichert werden, um die Versicherungssumme für weitere Ansprüche zu erhalten.
Schließlich halte ich es für sinnvoll, den Fokus wieder stärker auf den Kern der D&O-Deckung zu legen. Inzwischen enthalten viele Bedingungswerke eine Vielzahl zusätzlicher Deckungselemente. Auch wenn dies zunächst nach einem Mehr an Schutz aussieht, sollte stets kritisch geprüft werden, ob diese Erweiterungen tatsächlich im Interesse der versicherten Personen liegen. Mitunter kann eine klar strukturierte, auf die wesentlichen Risiken konzentrierte Deckung vorteilhafter sein – manchmal ist weniger tatsächlich mehr.
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