

Natur im Fokus: Risiken und Chancen für Unternehmen
June 30, 2025
Von Kai Kuklinski
Country Manager Germany und Regional Manager Northern Europe
In einer Zeit, in der Klimaziele in vielen Unternehmen bereits fest in der Strategie verankert sind, bleibt ein entscheidender Aspekt oft unbeachtet: die naturbezogenen Risiken. Zwar werden die Auswirkungen des Klimawandels zunehmend erkannt und adressiert, doch viele Unternehmen stehen erst am Anfang, wenn es darum geht, die tiefergehenden Verflechtungen ihrer Geschäfte mit der Natur zu verstehen. Dieser Artikel beleuchtet die Bedeutung der Bewältigung unternehmenseigener naturbezogener Risiken und gibt Einblicke in Strategien, mit denen Unternehmen ihre Zukunft nachhaltig gestalten und zugleich neue Chancen erschließen können.
Die unterschätzte Bedrohung durch den Verlust der Biodiversität
Biodiversität ist nicht nur ein ökologisches Gut, sondern auch von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung. Viele Unternehmen übersehen jedoch, wie stark ihre Geschäftsmodelle von gesunden Ökosystemen abhängig sind. Der dramatische Rückgang der Tierpopulationen in den letzten 50 Jahren und die erhebliche Veränderung von etwa 75 % der Erdoberfläche durch menschliche Aktivitäten verdeutlichen den Druck auf die natürlichen Lebensräume. Zudem sind laut IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) rund eine Million Tier- und Pflanzenarten derzeit vom Aussterben bedroht, was die Artenvielfalt weiter gefährdet. Dieser Verlust an Artenvielfalt kann wesentliche „Dienstleistungen” der Natur, wie Bestäubung, Wasserreinigung und Klimaregulierung, beeinträchtigen. Beispielsweise sind landwirtschaftliche Betriebe auf die Bestäubung durch Insekten angewiesen, während die Wasserreinigung in natürlichen Feuchtgebieten, die wie Filter wirken, für die Getränkeindustrie von Bedeutung ist. Ohne diese natürlichen Dienstleistungen können die Produktionskosten steigen und die Geschäftskontinuität kann gefährdet werden. Diese Auswirkungen sind oft unsichtbar, doch ihr Fehlen kann schwerwiegende wirtschaftliche Folgen in Form von erhöhten Betriebskosten und gestörten Lieferketten haben.
Naturbezogene Risiken in verschiedenen Branchen
Neben den bereits erwähnten „Dienstleistungen” der Natur gibt es zahlreiche weitere Verbindungen, die mit naturbezogenen Risiken einhergehen.
In der Landwirtschaft beispielsweise sind die Abhängigkeiten von der Natur besonders ausgeprägt und vielseitig. Extreme Wetterereignisse wie Dürren oder Überschwemmungen können Ernten bedrohen und die Versorgungsketten erheblich stören. Diese klimatischen Veränderungen machen deutlich, wie wichtig es ist, Strategien zur Anpassung und Risikominderung zu entwickeln. Zudem spielt die Bestäubung durch Insekten eine entscheidende Rolle für die Produktion von Obst und Nüssen. Ein Rückgang der Bestäuberpopulationen könnte zu direkten Ertragseinbußen führen, von denen nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch die nachgelagerten Industrien betroffen wären.
Die Bauindustrie ist stark von natürlichen Ressourcen wie Sand und Wasser abhängig. Sand ist ein wesentlicher Bestandteil von Beton, einem der am häufigsten verwendeten Baumaterialien weltweit. Die steigende Nachfrage nach Sand hat bereits zu einer erheblichen Übernutzung geführt. Dies hat ökologische Schäden wie die Zerstörung von Lebensräumen und die Erosion von Küstenlandschaften zur Folge. Diese ökologischen Schäden führen zunehmend zu regulatorischen Maßnahmen, die den Zugang zu Sandressourcen einschränken und somit die Baukosten in die Höhe treiben können. Darüber hinaus erfordern neue Vorschriften zur Reduzierung des CO2-Fußabdrucks von Baumaterialien den Einsatz umweltfreundlicher Alternativen, was ebenfalls zu höheren Kosten führen kann.
Die Abhängigkeit des Energiesektors, insbesondere der erneuerbaren Energien, von stabilen klimatischen Bedingungen ist offensichtlich. Windparks und Solaranlagen sind auf vorhersehbare Wetterbedingungen angewiesen, um effizient zu arbeiten. Veränderungen der Windmuster könnten die Energieproduktion von Windparks verringern, während eine unvorhersehbare Wasserverfügbarkeit die Leistung von Wasserkraftwerken beeinträchtigen kann. Um die Risiken zu minimieren und die Stabilität der Energieversorgung zu gewährleisten, sind eine sorgfältige Standortwahl und langfristige Planung unerlässlich.
Die Rolle der Versicherer
Ich sehe unsere Rolle als Versicherer darin, unsere Kunden bei der Bewältigung ihrer naturbezogenen Risiken zu unterstützen. Dazu bieten wir nicht nur finanzielle Absicherung, sondern setzen auch unsere spezifischen Fähigkeiten in der Analyse und Modellierung von Risiken unter Verwendung großer Datenmengen und modernster Technologien ein. So können wir gemeinsam mit unseren Kunden relevante Lösungen entwickeln, die ihre besonderen naturbezogenen Herausforderungen adressieren.
Bei ¾ÅÉ«ÊÓÆµhaben wir beispielsweise mehr als 400 eigene Risikoingenieure. Zu ihren Aufgaben gehört es unter anderem, die Standorte unserer Kunden nicht nur in der Anbahnungsphase zu analysieren. Für viele Risiken bieten wir auch die Möglichkeit der Echtzeitüberwachung. Zudem verfügen wir über Frühwarnsysteme, mit deren Hilfe drohende Schäden verhindert oder zumindest gemindert werden können, sofern umgehend entsprechende Maßnahmen umgesetzt werden.
Chancen durch proaktives Handeln nutzen
Unternehmen, die naturbezogene Risiken frühzeitig erkennen und aktiv angehen, sind besser in der Lage, Schäden zu verhindern, Ressourcenknappheit zu vermeiden und Lieferengpässe zu managen. Dies verschafft ihnen einen klaren Wettbewerbsvorteil, da sie nicht nur widerstandsfähiger gegenüber unvorhergesehenen Ereignissen sind, sondern auch schneller auf sich ändernde Marktbedingungen reagieren können.
Ein Beispiel hierfür ist die Landwirtschaft. Betriebe, die in moderne Bewässerungstechniken und Bodenschutzmaßnahmen investieren, können Ernteverluste durch Dürren oder Überschwemmungen reduzieren und ihre Ernteerträge somit stabil halten. Durch diese proaktiven Maßnahmen können sie auch bei widrigen Wetterbedingungen zuverlässig liefern und ihre Marktanteile sichern.
Unternehmen in der Bauindustrie, die sich frühzeitig auf nachhaltige Materialbeschaffung und effiziente Ressourcennutzung konzentrieren, können Engpässe bei kritischen Rohstoffen wie Sand vermeiden. Dadurch sind sie in der Lage, Bauprojekte termingerecht abzuschließen. Das verschafft ihnen einen entscheidenden Vorteil gegenüber weniger gut vorbereiteten Wettbewerbern.
Auch im Energiesektor bieten sich Chancen: Unternehmen, die frühzeitig in die Diversifizierung ihrer Energiequellen investieren und auf innovative Technologien setzen, können die Risiken durch veränderte klimatische Bedingungen mindern. Dies stärkt nicht nur ihre Versorgungssicherheit, sondern kann auch ihre Marktposition verbessern.
Ein dynamisches Risikomanagement ist notwendig
Aufgrund der Vielzahl naturbezogener Risiken, mit denen ein Unternehmen konfrontiert sein kann, ist ein aktives und dynamisches Risikomanagement entscheidend für den nachhaltigen Erfolg.
Ein erster Schritt ist die Priorisierung der identifizierten Risiken, um gezielte Maßnahmen zu entwickeln. Doch naturbezogene Risiken sind dynamisch und können sich im Laufe der Zeit verändern oder es können neue hinzukommen. Daher ist ein regelmäßiger Überprüfungs- und Anpassungsprozess unerlässlich.
Risikomanager sollten eine kontinuierliche Risikobewertung als integralen Bestandteil ihrer Strategie betrachten. Dies umfasst die regelmäßige Analyse aktueller Daten, um die Wirksamkeit bestehender Maßnahmen zu überprüfen und bei Bedarf Anpassungen vorzunehmen. Der Fokus liegt dabei auf der Flexibilität, um schnell auf Veränderungen reagieren zu können.
Darüber hinaus ist die Zusammenarbeit mit relevanten Stakeholdern entlang der gesamten Wertschöpfungskette entscheidend. Diese Kooperation ermöglicht ein tieferes Verständnis der Risiken und fördert die Entwicklung von Strategien, die sowohl präventiv als auch reaktiv sind. Durch den Austausch von Wissen und Ressourcen können Unternehmen ihre Risikomanagementpraktiken optimieren und letztlich ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken.
Ein dynamisches, iteratives Risikomanagement stellt sicher, dass Unternehmen nicht nur auf aktuelle Herausforderungen vorbereitet sind, sondern auch in der Lage sind, Chancen zu erkennen und zu nutzen, die sich aus einem sich wandelnden Umfeld ergeben.
Fazit
Unternehmen, die sich aktiv und vorausschauend mit naturbezogenen Risiken auseinandersetzen, legen den Grundstein für ihre langfristige Wettbewerbsfähigkeit und Erfolg. Indem sie diese Risiken nicht nur erkennen, sondern strategisch darauf reagieren, schaffen sie sich einen Vorsprung, der über reine Schadensbegrenzung hinausgeht.
Die Vielfalt der naturbezogenen Risiken erfordert ein dynamisches und flexibles Risikomanagement. Durch kontinuierliche Anpassung und Zusammenarbeit mit Partnern wie Versicherern können Unternehmen nicht nur bestehende Herausforderungen meistern, sondern auch neue Chancen entdecken. Dabei geht es nicht nur um den Schutz vor negativen Auswirkungen, sondern auch um die aktive Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft.
Bei ¾ÅÉ«ÊÓÆµerkennen wir die Verantwortung, Unternehmen in diesem Prozess zu unterstützen. Unsere Expertise und Technologien bieten wertvolle Werkzeuge, um Risiken effizient zu managen und Chancen zu maximieren. Gemeinsam mit unseren Kunden arbeiten wir daran, eine widerstandsfähige und naturpositive Wirtschaft zu fördern, die sowohl ökologische als auch ökonomische Ziele vereint. Dies ist nicht nur eine Verpflichtung, sondern eine Gelegenheit, die Zukunft aktiv zu gestalten und zu sichern.
Erstveröffentlichung in Die VersicherungsPraxis, Juni 2025
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